Eltern/ Fragen
Wir als Verband haben die Erarbeitung des Erlasses „Erlass zur Förderung von Schülerinnen und Schülern mit besonderen Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen“ kritisch begleitet. Unser damaliges Internet Forum ist nach Erlass-Veröffentlichung eine Anlaufstation für Fragen und Anmerkung zum Erlass geworden. Daraus und aus der Vielzahl von telefonischen Anfragen haben wir die hier vorliegen Fragen und Antworten erarbeitet. Sie stellt keine Rechtsberatung da, sondern soll den betroffenen Eltern eine Orientierungshilfe für Gespräche mit Lehrer/Schule sein.
Für welche Schulen und Jahrgänge gilt der Erlass?
Der Erlass gilt für alle allgemeinbildenden Schulen Niedersachsens.
Die meisten Maßnahmen im Erlass sind auf Grundschule und die Sek I (1-10 Klasse) beschränkt, auch ist die Anwendung auf Abschlusszeugnisse nur bedingt möglich.
Die im Erlass beschriebenen Nachteilsausgleiche sind in allen Jahrgangsstufen möglich.
Erkennt Niedersachsen mit dem Erlass die besondere Situation von Legasthenikern und Dyskalkulikern an?
Im Erlass werden diese Begriffe nicht benutzt. Dies ist eine Fortführung der Tradition nicht aller, aber leider vieler Bundesländer, die diese medizinische Definition für die Pädagogik als nicht hilfreich erachtet.
Der Erlass unterscheidet aber:
- Anfangsschwierigkeiten oder geringerer Grad der Ausprägung der Schwierigkeiten, die mit Binnendifferenzierung, d.h. gesondertes Eingehen auf die Schüler im normalen Unterricht, begegnet werden soll,
- und erhebliche/besondere Schwierigkeiten, die mit gezielten Maßnahmen( z.B. klassenübergreifendem Förderunterricht) begegnet werden sollen und für die auch eine Abweichung von den Grundsätzen der Leistungsbewertung (z.B. Notenschutz) zeitweise möglich ist.
Wann sollte überprüft werden, ob "besondere Schwierigkeiten" vorhanden sind und wann kann man von deren Existenz ausgehen?
"....dies gilt insbesondere für Schülerinnen und Schüler,
- in den Schuljahrgängen 1 und 2,
denen die grundlegenden Voraussetzungen für den Schriftspracherwerb und den Erwerb der Grundrechenarten noch fehlen; - in den Schuljahrgängen 3 und 4,
deren Leistungen im Lesen, Rechtschreiben oder Rechnen über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten den Anforderungen nicht entsprechen; - in den Schuljahrgängen 5 bis 10
wenn in Einzelfällen besondere Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben oder im Rechnen bisher nicht behoben werden konnten."
Kommentar: Das für die Schuljahrgänge 5 bis 10 definierte Kriterium ist eine Verlängerung des Kriteriums der Schuljahrgänge 3 bis 4. Dieses sagt: Wenn die Leistungen mindesten 3 Monaten (nicht 2, aber auch nicht 12 Monaten) schlechter sind als ausreichend (also 5 oder 6).
Wie wird festgestellt, dass "besondere Schwierigkeiten" existieren und wie wird mit medizinischen Gutachten verfahren?
Der Erlass spricht von einer "prozessbegleitenden Beobachtung", darunter ist eine längerfristige Beobachtung und Wertung der Ergebnisse gemeint und grenz sich damit von Momentaufnahmen wie Test in Instituten oder von Ärzten ab.
Vorliegende Gutachten aus dem außerschulischen Bereich (kinder- und jugendpsychiatrische oder psychologische Gutachten) müssen durch eine prozessorientierte Feststellung von Schwierigkeiten im Lesen und Rechtschreiben oder im Rechnen der Schule ergänzt sowie pädagogisch ausgewertet und interpretiert werden."(aus dem Erlass)
Kommentar: Geht man davon aus, dass Eltern nicht ohne Grund und nicht von heute auf morgen ihr Kind ärztlich wegen einer Lese- Rechtschreib- oder Rechenschwäche untersuchen lassen, sind in fast allen Fällen die ärztlichen Gutachten eine Bestätigung bzw. eine Unterstützung der längerfristigen Beobachtungen von Eltern und/oder der Lehrer!
Der Erlass sagt ausdrücklich, dass Schule sich mit vorliegenden Gutachten beschäftigen muss ! Wir empfehlen dringend, vorliegende Gutachten an die Schule weiter zu leiten.
Wer stellt die "besondere Schwierigkeit" fest?
Die "besondere Schwierigkeit " wird von den Fachlehrern festgestellt. Alle daraus abzuleitenden Konsequenzen oder Maßnahmen werden von der Klassenkonferenz bestimmt.
Wann soll gefördert werden?
Bei festgestellten Schwierigkeiten im Lesen, Rechtschreiben oder im Rechnen sind Fördermaßnahmen durchzuführen.
Kommentar: Diese recht klare Regelung wird aufgeweicht durch die Tatsache, dass für diese Maßnahmen keine zusätzlichen Mitteln seitens der Landesregierung bereitgestellt werden.
Wie die einzelnen Schulen ohne zusätzliche Mittel Förderung durchführen, bleibt ihnen im Sinne der "eigenverantwortlichen Schule" selbst überlassen.
Welche Art von Förderung sollen/können Schulen anbieten?
Laut Erlass können besondere Fördermaßnahmen sein:
- Training der phonologischen Bewusstheit als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb,
- Rechtschreibprogramme, die dem individuellen Lernstand angepasst sind,
- Vorkurse zur Entwicklung des Zahlbegriffs,
- Mathematikförderprogramme auf handlungsorientierter Basis.
Kommentar: Bei den hier genannten Programmen handelt es sich nicht um EDV-Programme sondern um ausgearbeitete Lernkonzepte, die detailliert eine Förderungsmethode beschreiben.
Beispiele für den Bereich Lese- und Rechtschreibung:
- Kieler Rechtschreibprogramm, nach Dummer-Smoch
- Marburger Rechtschreibtraining nach Schulte-Körner
- Lautgetreue Lese-Rechtschreibförderung nach Reuter-Liehr
- Anleitung zum Regelverständnis nach Frau Dr. Mann
Beispiele für den Bereich Rechnen:
- Schwierigkeiten beim Erwerb mathematischer Konzepte im Anfangsunterricht nach Hans-Dieter
Gerster und Rita Schultz
- Kieler Zahlenbilder nach Christel Rosenkranz
Kann die Förderung auch außerhalb von Schule stattfinden?
Die im Erlass als eine der Bedingungen für Notenschutz (Abweichung von den Grundlagen der Leistungsbewertung) benannte Förderung kann unseres Erachtens auch außerschulisch erfolgen. Dazu heisst es im Erlass:
“Im Interesse einer ganzheitlichen Förderung arbeiten Schulen mit den Gesundheits-, Sozial- und Jugendämtern, den schulpsychologischen, schul- und fachärztlichen Diensten, Einrichtungen der Frühförderung, mit weiteren Fachleuten und Institutionen, Arbeitsämtern, Kammern, Betrieben und Erziehungsberatungsstellen zusammen.
Die schulischen und außerschulischen Fördermaßnahmen sind abzustimmen.”
Was sagt der Erlass zu Klassenarbeiten und deren Zensuren?
Für alle Schüler gelten bei Klassenarbeiten oder sonstigen Leistungsfeststellungen und deren Ergebnissen sprich Zensuren bzw. Leistungsbewertung die gleichen(!), allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung. Davon völlig unabhängig kann auf Beschluss der Klassenkonferenz Nachteilsausgleich gewährt werden.
Von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung kann in besonders begründeten Ausnahmefällen auf Beschluss der Klassenkonferenz abgewichen werden.
Was ist Nachteilsausgleich?
Der Nachteilsausgleich ist wie folgt definiert:
Aus dem Erlass "Schriftliche Arbeiten in den allgemein bildenden Schulen:”Für Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen sollen die äußeren Bedingungen (z. B. Dauer, Pausen, zusätzliche Hilfsmittel) bei der Anfertigung bewerteter schriftlicher Arbeiten nach Möglichkeit so gestaltet werden, dass Nachteile aufgrund der Behinderung ausgeglichen werden.”
Beispiele hierfür nennt der Erlass:”...
- Als Hilfen im Sinne eines Nachteilsausgleichs gelten insbesondere
- Ausweitung der Arbeitszeit, z.B. bei zu zensierenden schriftlichen Lernkontrollen;
- didaktische und technische Hilfsmittel (z.B. Zehnermaterial),
- Entwickeln einer dem individuellen Lernstand angepassten Aufgabenstellung,
- Einordnen der schriftlichen und mündlichen Leistung unter dem Aspekt des erreichten Lernstands mit pädagogischer Würdigung”
Wichtig ist, dass die Gewährung von Nachteilsausgleich auch in der Sek II gewährt werden kann
Was sind Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen zur Leistungsfeststellung und -bewertung?
Der Erlass nennt hier folgende Beispiele:
- stärkere Gewichtung mündlicher Leistungen, insbesondere in den Fremdsprachen,
- zeitweiliger Verzicht während der Förderphase auf eine Bewertung der Lese- und Rechtschreibleistung,
- zeitweiliger Verzicht auf die Bewertung von Klassenarbeiten während der Förderphase im Bereich Mathematik (nur in der Grundschule und im Primarbereich der Förderschule.)
Wann kann/sollte von den allgemeinen Grundsätzen zur Leistungsfeststellung und -bewertung abgewichen werden?
Von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsbewertung kann in besonders begründeten Ausnahmefällen auf Beschluss der Klassenkonferenz abgewichen werden. Als Maßstab, wann ein besonders begründeter Ausnahmefall vorliegt, sagt der Erlass:
“Bei Entscheidungen zur Anwendung bzw. der Abweichung von den Grundsätzen zur Leistungsfeststellung und -bewertung soll berücksichtigt werden, dass Schwierigkeiten im Rechtschreiben allein kein Grund sein dürfen, bei sonst angemessener Gesamtleistung
- eine Schülerin oder einen Schüler nicht zu versetzen,
- eine Schülerin oder einen Schüler vom Übergang von der Grundschule an eine weiterführende Schule oder von einem Wechsel zwischen den Schulformen des Sekundarbereichs I der allgemein bildenden Schulen auszuschließen,
- von einer der Gesamtleistung entsprechenden Empfehlung für den Wechsel der Schulform am Ende des vierten Schuljahrganges abzusehen “
Und was ist mit den Zeugnissen?
Erlass:
“Die Abweichungen von den allgemeinen Grundsätzen der Leistungsfeststellung und -bewertung sind in den Zeugnissen zu vermerken, nicht jedoch in Abgangs- und Abschlusszeugnissen; bei diesen gelten die allgemeinen Grundsätze der Leistungsbewertung. Auf Wunsch der Erziehungsberechtigten bzw. der volljährigen Schülerin oder des volljährigen Schülers in Abgangs- oder Abschlusszeugnissen auf das Vorliegen besonderer Schwierigkeiten im Rechtschreiben hingewiesen werden.”
Kommentar: Die im letzten Satz skizzierte Möglichkeit bedeutet in einfachen Worten: In den Abschlusszeugnissen kann auf Wunsch vermerken werden, warum man so eine schlechte Deutschzensur oder Fremdsprachenzensur hat.